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Die wesentlichen Steinbildhauer der Gegenwart in Österreich lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen, ja selbst international bilden sie eine schwindend kleine Gruppe.
Der Bildhauer und Zeichner Franz Rosei, in Wien und in seinem ungarischen Sommeratelier arbeitend, hat sich für drei mediale Bereiche seiner künstlerischen Praxis entschieden. Priorität hat nach wie vor die Steinbildhauerei, zu der bereits früh parallel der feinsinnige Zeichner trat. Auch der Zeichner Rosei setzt sich mit dem Körper auseinander – auch mit dem Körper der Landschaft. Die Zeichnungen sind autonom und nicht Vorzeichnungen oder Skizzen für die Steine. Die Strichlagen, die die Licht- und Schattenzonen betonen, erinnern an die Arbeit des Bildhauers, der in den Stein hineinarbeitet, aus diesem die Figur herauslöst, herausschlägt. Einmal aufs Blatt gesetzt, lassen sich die Linien nicht mehr zurückrufen, läßt das Ergebnis sich nur mehr schwer korrigieren. Das zweidimensionale Bild gibt jedoch nur eine Ansicht der Gestalt wieder, die dreidimensionale Figur kann vom Betrachter umschritten werden, Erinnerungen an das Gesehene und das im Blick Befindliche durchdringen sich und werden zu einer totalen Erfahrung.
Relativ spät ist Rosei zur Arbeit mit Bronze gekommen. Wesentlich erscheint mir hier anzumerken, dass er nicht den problematischen Abguss der Steine pflegt, der oft die Spuren der abgegossenen Formen enthält, die aus einem anderen, völlig unterschiedlichen Arbeitsprozess herrühren, sondern dass, trotz der Verwandtschaft der Formen, diese einem mehrstufigen Verwandlungsprozess unterworfen werden. Die abgenommene Form wird nicht selten in ihren Proportionen verändert, gelängt und vergrößert, die Oberflächen geglättet und die schwellend gehaltene Kopf- oder Torsoform durch eine unterschiedliche Patina, der viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, differenziert.
Roseis Skulpturen und Formkonzepte gehen von der menschlichen Figur aus, als deren Verdichtung wir sie verstehen müssen. Ohne Zweifel lässt er sich als Außenseiter nicht in die starke figurative Tradition der Wotruba-Schule einordnen, der er auch als nicht auf der Akademie ausgebildeter Autodidakt fernstand; dergleichen gehört er nicht in den Umkreis eines abstrakten Bildhauers wie Karl Prantl, dessen Sensibilität gegenüber dem Stein und seine subtile Bearbeitung er vielleicht teilt. Auch dem Begriff des Torso steht er eher skeptisch gegenüber, wiewohl dieser bei der Namensgebung der Skulpturen auftaucht. Der Torso als ikonographische Kategorie rührt von den verletzt und amputiert aufgefundenen antiken Skulpturen her; sein Reiz besteht in der Fragmentierung, die als ein finales Ergebnis erscheint. Suggeriert wird, es habe sich die Kernsubstanz des menschlichen Körpers erhalten, für den die Dialektik von Kopf und Rumpf (die oft unterschiedlichen Ausdruckskategorien zugeordnet werden) entscheidend ist. Roseis außerordentlich verknappte Körper verraten durch ihre Symmetrie, aber auch durch Charakteristiken des Leibes, die weniger in Vordergründigem, etwa dem Geschlecht oder der Formung des Brustkorbs oder der Leistengegend liegen, sondern eher generell in der Spannung der »Haut« des Steins oder seiner Schwellung, ihr Leib-sein. Wenn von Abstraktion gesprochen wird, meine ich, dass der anthropomorphe Gesamteindruck selbst durch äußerste Verknappung und Konzentration erreicht wird. Selbst dort, wo die Reduktion (etwa in »Rückenlage«) so weit vorangetrieben wird, dass der »Leib« oder das, was wir als Fragment vor uns sehen, erscheint, sehen wir dieses als etwas Belebtes, Atmendes, Gespanntes, nicht als Pars pro Toto eines entstellten, fragmentierten Körpers, sondern als Ergebnis dessen, was Rosei selbst als »Arbeiten mit und am Bewusstsein, als eine Arbeit an mir selbst« begreift (F.R.). Der Stein wird zum Ausdrucksträger von Erfahrungen jenseits der ästhetischen Dimension, die Franz Roseis Bruder, der Schriftsteller Peter Rosei, zu Recht im Bereich des Existentiellen vermutet. Roseis Figuren sind Projektionsfiguren, die jenseits ihrer zuerst ins Auge fallenden, den Stein transsubstantiierenden Klassizität von Statur, Materialität und Oberflächenbehandlung, jenseits ihrer Proportionen und ihrer hermetischen Verschlossenheit, an manchen Stellen geöffnet sind und ihr wahres »Fleisch zeigen« oder bei näherer Betrachtung Schrunden und Schrammen aufweisen.
Diese Kratzer und Öffnungen mögen semantische Analogien sein zu Wunden und Verletzungen – ich glaube jedoch, dass die Dialektik zwischen unbearbeitetem Stein und den glänzenden, glatten, verschlossenen, spiegelnden und sanft schwellenden Flächen, die uns zu erotischen Berührungen einladen und in die das Licht eindringt und durch die unter der Haut liegenden Kristalle zurückgeworfen wird, eine formale, wie auch eine auf eine höhere abstrakte Ebene anspielende Strategie darstellt. Dem Stein kommt allerdings auch eine symbolische Bedeutung zu. Rosei reflektiert dessen Alter und auch die Tatsache, dass er den Menschen und seinen Schöpfer überdauert. Die Steine beziehen sich auf ihre eigenen Entstehungszeiten, aber sie erlauben auch Assoziationen zu einer Geschichte ihres ästhetischen Einsatzes von der ägyptischen Vorzeit bis zur griechischen Klassik und romanischen Archaik wie zur gotischen Eleganz.
Rosei liebt das Material und seine unterschiedlichen ästhetischen Erscheinungsformen. In den letzten Jahren hat er zunehmend immer stärker geäderte, geflammte und farbige Steine dem klassischen weißen oder eher monochromen Marmor vorgezogen.
Er löst die Figur langsam aus dem Material. Es ist dies ein Vorgang, der sich über Jahre erstrecken kann. Ein falscher Schlag, und die Arbeit vieler Stunden ist zerstört. Die Größe der Steine, die auch der Betrachter umgeht, wird bei Rosei vom menschlichen Maß bestimmt, und die Sockel und Tische, die er für die Skulpturen vorsieht, werden sorgfältig gewählt. Sie laden nicht selten zur tastenden, kosenden, streichelnden Berührung ein; das Licht spielt eine wesentliche Rolle, wie auch der Dialog, den der Betrachter beim Umkreisen der Figuren in der Zeit entwickelt.